Sonntag, Februar 26, 2006

Wolle ma se reinlasse...?


Bevor's morgen losgeht mit dem Spring term meld ich mich nochmal aus dem bereits schon ein wenig frühlingshaften Istanbul. Jaja, das Wetter hat sich gemacht die letzten Tage seit meiner Rückkehr aus Almanya. Bereits schon am Montag weckte mich die Frau Sonne, als sie in mein Zimmer schien - mein neues i. Ü., denn ich bin ja umgezogen auf die andere, die aussichts- und sonnenscheinreichere Seite des Hauses. Immer noch ein Zweibettzimmer, obgleich mein Roommate Sinan nicht hier ist, sondern seit Wochen wegen einer Beingeschichte an sich herumdoktern lassen muss. Hoffe aber, dass er bald kommt und bleiben kann. Versteh mich nämlich gut mit ihm - ebenso Politikstudent wie ich und ein interessanter Typ, da Kurde aus Bitlis, d. h. Südostanatolien oder wie er sagt "my land".

Anyway, habe versucht die Frühlingssonne und -wärme zu genießen. Dienstag hätte ich eigentlich meine Kurseinschreibung machen sollen, aber der kleine Mediterrane in mir meinte, ich sollte dies auf Mittwoch verschieben und mich auf die Wohnheimsterrasse begeben. Die vier Stunden lesen und Musik hören, sonnen und Istanbul lauschen war demnach ... Ihr könnt es Euch denken und gönnt es mich, nicht wahr?!
OK, so denn am Mittwoch die Registration in Kuştepe, wo ich Naomi, Müge, Aycin und Mark traf, die allesamt für den zweiten Term hier bleiben, während sonst ja fast alle die Zelte abgebrochen und ihre Heimreisen angetreten haben. Über die Kurse, die ich mir rausgesucht habe und eben ab morgen auf Tauglichkeit, Anspruch und Arbeitsaufwand testen werde, berichte ich bald.
Bin ja noch in Ferienstimmung, und mit dieser sowie mit Aycin und Mark ging's am Donnerstag zur wunderschön über dem Meer gelegenen Bosporus Universität und nach Belek. Außerdem besuchte ich tagsdrauf mit Metin in ein paar Moscheen und konnte so auch das Freitagsgebet in der Süleymaniye mitbeobachten (was natürlich höchst interessant war, obwohl weder zum Dschihad noch zum verstäkten Kampf gegen Zionismus und Imperialismus aufgerufen wurde. Stattdessen thematisierte der Imam das Alkoholverbot für die Muslime).
Gestern - in Anbetracht von "Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht", das ich vorgestern im Küchenfernseher gesehen und mich dafür dann geschämt habe - wollte auch ich ein wenig Wahnsinn miterleben und bin mit Hayrettin und Enver zum Fussball: Galatasaray İstanbul vs. Manisaspor - Endergebnis 4:2 (Allah sei dank!). Das Spiel war unterhaltsam, die Spieler nicht gut und die Fans entsetzlich fanatisch. Fussball in Deutschland? Lebhaft wie ne Runde Schach. Fussball in der Türkei? Schätze, die Atmosphäre in römischen Arenen war ähnlich erfüllt von gleichzeitig euphorischer Freude und rasendem Zorn - und beides scheint mit dem eigentlichen Spiel nichts mehr zu tun zu haben, sondern ist ein Selbstläufer zwischen den Fanblocks.

Wie dem auch sei. Die Ferien sind vorbei, sie waren ereignisreich und ließen sich genießen. Morgen wird angetreten zum 10-Uhr-Morgenapell und hierfür geht's jetzt ab ins Bett.

İyi geçeler wünscht
Ludwig Paşa

Dienstag, Februar 21, 2006

Intermezzo

Kalt sah's aus, mein Bayernland, als ich letzten Samstag gegen 18 Uhr aus dem Fenster der LH3351 İstanbul Atatürk Havalimanı - München Franz-Josef-Strauß Flughafen blickte. Kalt, frostig, schneebedeckt. Doch als mich mein Bruder Georg abholte und ich vom Auto aus die Zwiebeltürme der bayerischen Dorfkirchen in abendlichem Licht sah, wurde mir schon a bisserl warm ums Herz. Und den Rest besorgte dann der Willkommensschnaps zuhause bei den Eltern in Ingolstadt.
All dies schreibe ich in der Retrospektive. Gerade sitze ich schon wieder in meinem Wohnheim in Karaköy/ İstanbul. Hier denke ich nun zurück an die vergangene Woche, an Umarmungen und Küsse, Erzähltes und Gehörtes, an Gänsebraten und Apfelbacher, Schweinefilet und Augustiner, an die Eltern, den großen Bruder und die großen Mütter, die Onkel und Tanten, die gesehenen und gehörten Freunde.
Was soll ich sagen? Schön war's. A bisserl anstrengend und stressig schon auch. Aber hier und jetzt merke ich, dass die Pause genau in der richtigen Woche genommen wurde (als nämlich das Wohnheim ausgestorben und das İstanbuler Wetter schlecht gewesen war), dass meine Batterien wieder aufgeladen sind und ich wirklich froh bin, dass Ihr mir alle wieder ein bisschen näher da ward.
An Euch alle ein dickes Dankeschön für Zeit, Wort und Wunsch!!!

Und nun also: Hadi, hadi! Los, los! Studieren, lernen, erleben! Denn nach einem arabischen Volkslied stand auf Sasans, des Bettlerkönigs, Stabe geschrieben:

Sich regen,
Bringt Segen.
Ein Hund, der sich regt,
Jagt mehr, als ein Löwe, der sich legt.

Wer mitregen will: bin bis 19. Juli hier in "one of the coolest cities in the world" (Newsweek).

Selamlar
Ludwig Paşa

Donnerstag, Februar 09, 2006

Antworten


Und hier nun die Antworten auf die Fragen meines letzten Eintrages.
Zunächst zum Thema Schnee: Väterchen Winter hat in der Türkei verblüffenderweise mehr zu bieten als ich gedacht hatte. Denn das, was manchmal tagelang als Regen vom Himmel runter kommt, kam als Schnee - wodurch doch glatt 30 cm Schnee anhäuften - und ließ die Stadt versinken, verstummen und verunsichern. Schulen dicht, Straßen leer, Geschäfte zu. Und am Lustigsten waren die an manche Autos angelegten Ketten, die mit 70 km/h über die schneefreie Straßendecke ratterten.
Jedenfalls ließ mich der Schnee ein paar schöne Tage erleben: meine Winterspaziergänge führten mich durch Beyoğlu, Nişantaşı und Beşiktaş sowie ans Ende des Goldenen Horns nach Eyüp. Dort, hoch über dem Meer auf der Aussichtsterrasse des Pierre Loti Cafés machte ich die nette Bekanntschaft mit zwei Münchnern, Mischko und Nicola, die ihre Uni-Abschlussreise nach Istanbul machten und denen ich auch noch ein wenig "meine Stadt" zeigen durfte. Grüße an Euch, falls Ihr einen Blick auf meinen Blog werfen solltet!
Wie auf meinen Bildern zu sehen ist, kann der Schnee die Stadt wieder total verändern (oder wie der Schweizer Michael meinte: "Du meinst, Du bist in einer ganz anderen Stadt."). Die Menschen werden ruhiger, weil sie ihre Betriebsamkeit verlangsamen oder unterbrechen. Sie werden kindischer, machen Schneeballschlachten zwischen den geparkten und eingeschneiten Autos, filmen ihre auf Plastiktüten rodelnden Kinder und bauen türkische Schneemänner. Nichtsdestotrotz: was in solch kalten Tagen aus den Müll- und Schrottsammlern, Simit- und Kleinkramverkäufern, bettelnden Frauen und Straßenkindern wird, weiß niemand oder will niemand wissen. Die Metropole, der Moloch frisst seine Opfer.

Nun aber zur zweiten Frage - und gleich die Antwort: letzten Samstag fuhr ich für vier Tage mit Musikstudent und Freund Noyan in sein heimatliches Ankara. Knapp fünfeinhalb Stunden auf dem Highway No. 1 der Türkei, wobei wir über eine Stunde brauchten um herauszukommen aus dem Meer Istanbul, dessen Hügel Wellen gleich wogen, auf denen ein Teppich aus mehrstöckigen Kastenhäusern schwimmt. Dagegen Ankara: gerastert, kleiner (4 Mille EW), geordneter, bekömmlicher (allein schon weil auf 1000 m NN gelegen) - und recht unspektakulär. Die Altstadt schön, aber arm und ungepflegt, die Neustadt uncharmanter 1960er Jahre-Chic, irgendwie ... durchschnitts-europäisch. Das Leben spielt sich in Geschäften und Hauptstadt-Verwaltungsbüros ab, abends wird der tote Hund begraben.
Aber wie auch immer. Noyan's Oma, bei der er wohnt, empfing uns typisch großmütterlich ("Was wollt ihr essen? Ich hab fünf Kilo gefüllte Paprika gemacht, reicht das?"), seine malende Mutter ist auf Ausstellungstour in Paris, sein Vater führte mich am Sonntag ins Museum der Anatolischen Zivilsationen, zu Atatürks Sarkophag und Museum am Anıt Kabir und nachmittags ins umweltfreundlich gebaute Landhaus zum Fischgrillen und Rakı-Trinken. Die Bilder sollen für sich sprechen bzw. nur die Bemerkung zulassen: interessant war's und schön lustig.

Damit soll dieser Post ein Ende finden. Er soll die Halbzeit meiner Brückenüberquerung markieren - in meinem Zimmer liegen die Taschen packbereit und warten darauf gefüllt zu werden. Übermorgen gehts für acht Tage nach Old Germany zur Family und den Friends. All jenen, die sich außerhalb Ingolstadts aufhalten, sei gesagt: Sehen werd ich Euch wohl nicht, aber gaaaanz fest an jeden denken! Und jenen, an deren Präsenz ich auftanken darf, sei meine Vorfreude auf ein Wiedersehen gewiss!

Kendine iyi bakin, bis die Tage
Ludwig Paşa